Die St.-Oranna-Kapelle bei Berus, einem Ortsteil der Gemeinde Überherrn, ist eine beliebte Wallfahrtsstätte. Das beliebte Ausflugsziel wird gerne von gläubigen Wallfahrern aus dem gesamten Saarland und auch aus dem benachbarten Lothringen aufgesucht. Die Wallfahrtskapelle beherbergt heute die Gebeine der Schutzheiligen des Saargaus und des benachbarten Lothringens, der heiligen Oranna.
Der christlichen Überlieferung nach stammte ›Oranna‹ (Irischer Name → Othranna) aus dem iro-schottischen Adel. Der Legende nach soll sie eine Königstochter gewesen sein, welche wegen ihrer Schwerhörigkeit von ihrem Vater verstoßen wurde. Ob Orannas Vater also Schotte oder Ire war und wie es zu der Aussage ›iro-schottischer Adel‹ in der Legende kommt, diese Frage lässt sich ganz einfach beantworten: Irland hieß einst ›Scotia maior‹, die Bewohner Irlands wurden bis ins 12. Jahrhundert ›Scoti‹, also Schotten, genannt.
Tatsächlich soll Ihr Vater O'Fionnaláin (irisch → Ó Fionnaláin) gewesen sein, welcher Stammeshäuptling, Clanführer und Gaukönig von Delvin (ca. 60 km nordwestlich von Dublin) war.
Oranna kam mit ihrer Gefährtin, die erst Jahrhunderte später als Cyrilla bezeichnet wurde, im 6. oder 7. Jahrhundert (vermutlich um 575) in einer missionarischen Gruppe in den Saar-Mosel-Raum. Der Name ›Oranna‹ bedeutet: → die ein wenig Blasse (irisch).
Eine durchaus glaubwürdige Legende behauptet, dass Oranna die Schwester des Heiligen Wendelinus sei, welcher im östlichen und nördlichen Saarland als Missionar tätig war und der Kreisstadt St. Wendel den Namen gab. Er kam zusammen mit seinem Bruder Fiakrius, und iro-schottischen Mönchen in unsere Region.
Zusammen mit ihrer Gefährtin Cyrilla lebte Oranna als Einsiedlerin und Glaubensbotin im Gebiet der heutigen Gemeinde Überherrn. Nach ihrem Tod wurden beide auch in der Grabkirche des früheren Dorfes Eschweiler gemeinsam in einem Sarkophag bestattet.
Die beiden Heiligen werden meist in einer Person als ›Heilige Oranna‹ angebetet. Seit jeher wird die Hl. Oranna im Grenzraum des Saargaues und Deutsch-Lothringens verehrt, vor allem im deutschsprachigen Grenzraumes bis etwa Bolchen (Boulay-en-Moselle) und Busendorf (Bouzonville). Die Grabkirche in Eschweiler mit dem Sarkophag war schon im Frühmittelalter das Wallfahrtsziel vieler regionaler Pilgerinnen und Pilger.
Oranna soll zu Lebzeiten Kranke gepflegt und geheilt haben. Der Volksglaube nahm ihren Namen ›OR-ANNA‹ zum Anlass, ihr heilende Kräfte auch bei Ohrkrankheiten zuzuschreiben. Deshalb findet man sie oft auch mit einer Hand am Ohr abgebildet. Aus nämlichen Grund existiert auch in der Kapelle eine schmiedeeiserne Krone, welche man sich aufsetzt und welche dadurch Ohrenschmerzen heilen soll. Desweiteren werden ihr heilende Kräfte gegen Kopfkrankheiten, Taubheit und Schwindelanfälle zugeschrieben.
In den drei Orten Berus, Altforweiler und Felsberg, auf deren Gebiet sie lebte und wirkte, findet sternförmig jährlich am »Orannatag«, dem 1. Montag nach dem 3. Sonntag im September, eine Wallfahrt zur Orannakapelle statt. Traditionell findet auch an diesem Wochenende in den genannten Orten die Orannakirmes statt.
Oranna ist im Laufe der Jahrhunderte zur bedeutendsten Heiligen der Region westliches Saarland und östliches Lothringen geworden. Wann immer man ihre Kapelle besucht, brennen dort viele von Gläubigen aufgestellte Votivkerzen.
Viele ledige, junge Frauen vertrauten der Heiligen auch den Wunsch an, einen geeigneten Ehemann zu finden. Ein volkstümliches Gebet lautet:
Häälich Orann, bescher mer en Mann!
Kään Seffer, kään Schmesser,
kään met em rooden Bart,
die sinn von känner gudden Art!
Bescher mer en gudden Mann,
dass aich lang dran hann!
(Heilige Orann´, bescher mir einen Mann!
Keinen Säufer, keinen Raufbold,
keinen mit einem roten Bart,
die sind von keiner guten Art!
Bescher mir einen guten Mann,
dass ich lange daran habe!)
Die Oranna-Kapelle ist eine Grabkirche, die an der Stelle des einstigen Pfarrortes Eschweiler auf den Höhen des Saargaus auf dem Beruser Bann steht. Der Ort Eschweiler wurde jedoch von Truppen des Metzer Bischofs 1325 oder 1326 zerstört. Der »Krieg der vier Herren«, auch »Krieg von Metz« genannt, war eine militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Bischof von Metz und dem Herzog von Lothringen, ein sogenannter Feudalkonflikt (Feudalismus, lateinisch feudum/feodum → Lehen).
Die am ältesten erhaltenen Teile der Kapelle (im Bereich des heutigen Chores) stammen aus der Zeit um 1230. Der Kapellenbau, der im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zerstört und wiederaufgebaut wurde, geht zurück auf die Eschweiler Pfarrkirche St. Martin. Das Dorf und die Pfarrei Eschweiler waren nach dem 6. Jahrhundert gegründet worden. Bis 1220 hatte die Pfarrei Eschweiler zum Patronat des Ritters Marsilius aus Lisdorf gehört. Danach gehörte Eschweiler bis zu zu seiner Aufgabe zur Grundherrschaft des Klosters Wadgassen.
Die Kapelle diente wie bereits beschrieben der Verehrung zweier Frauen, welche unter dem gemeinschaftlichen Namen ›Oranna‹ (Oranda) oder auch unter den Namen ›Oranna‹ und ›Cyrilla‹ angebetet werden und in der Kapelle in einem einzigen Sarkophag bestattet waren. Ihnen wurden von jeher wundertätige Heilungen bei Kopfschmerzen und Ohrenleiden zugeschrieben.
Der bereits jahrhundertelang etablierte Brauch erhielt im Spätmittelalter erheblichen Auftrieb, als der Metzer Weihbischof am 3. Mai 1480 zwecks kircheninterner Prüfung der Berechtigung der Wallfahrt unter Anwesenheit einer großen Volksmenge den Sarkophag in der Kapelle öffnete und dabei tatsächlich zwei Frauenskelette gefunden wurden.
Das nahe Berus, 1235 erstmals urkundlich erwähnt, war über weite Strecken seiner Geschichte lothringisch. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wurde die »Stadt auf dem Berg« , wie man sie damals nannte, mehrmals belagert, besetzt und verwüstet. Dabei wurden alle Wohnhäuser, Burg Scharfeneck und das erst errichtete Renaissanceschloss (aus dem 16. Jahrhundert) des Architekten Jakob Lux bis auf das noch heute vorhandene Torhaus (dient heute u.a. als standesamtliches Trauzimmer) und das Bannhaus (erbaut 1580) zerstört.
Die Stadt Berus konnte nicht mehr an die Vorkriegszeit anknüpfen und wurde zum Dorf. 1719 wurden die Gebeine von Oranna und Cyrilla in die Pfarrkirche von Berus überführt, was zu einer Verlagerung der Wallfahrt nach Berus und zur baulichen Vernachlässigung der Oranna-Kapelle führte.
Die Kapelle sollte während der Französischen Revolution wegen Baufälligkeit im Zuge der antichristlichen Tendenzen der Revolution abgerissen werden. Damit wäre das Zentrum einer etablierten und kirchlich gebilligten Pilgertradition entfernt worden. Dies spiegelt auch die Sorge der französischen Revolutionäre und ihrer Anhänger im Saarraum vor einer Gegenrevolution wider.
Während der Unruhen wurde der Orannenschrein zeitweise in einer Felsspalte im Wald versteckt und wurde so über die Revolution gerettet.
Die Oranna-Kapelle wurde versteigert. Obwohl bei der Versteigerung die staatliche Auflage bestand, die baufällige Kapelle sofort abzureißen, wurden unter den ersten beiden Besitzern Josef Dalstein (aus Altforweiler) und Wilhelm Koenens (aus Bisten) weiterhin dort Gottesdienste abgehalten.
Auf die Anzeige eines Revolutionsanhängers hin, »die Kapelle sei Treffpunkt religiöser Klubs«, wurde das Dach eingerissen. Infolgedessen wurde die Kapelle in den folgenden Jahren durch Witterungseinflüsse sehr baufällig.
1814 erfolgte mit Spendengeldern ein erneuter Aufbau, der jedoch die baulichen Mängel nicht nachhaltig behob. 1829 war die Kapelle erneut einsturzgefährdet und die Gottesdienste wurden vom Trierer Bischof untersagt. (Seit 1821 gehörte die Pfarrei Berus nicht mehr wie während der Jahrhunderte zuvor zum Bistum Metz, sondern war nun dem Bistum Trier angegliedert.) Noch im Jahr 1829 wurde die Kapelle umfassend restauriert und dauerhaft wieder hergerichtet. Der damalig hergestellte bauliche Zustand besteht im Wesentlichen bis heute.
Der Oranna-Kult erlebte im 20. Jahrhundert einen Aufschwung im Zusammenhang mit den drohenden oder bereits begonnenen Weltkriegen. Der Oranna-Kult blieb eine weitgehend in der Volksfrömmigkeit verwurzelte Tradition. Die jährliche Wallfahrt am dritten Sonntag im September verbindet seit Jahrhunderten die Gläubigen im Grenzraum, und die Grabkirche von Berus verkörpert bis heute einen Bereich positiver Beziehungen zwischen dem Saarland und Lothringen.
Während des 2. Weltkrieges wurde bei einem Angriff im Jahr 1940 das Dach und die gesamte Inneneinrichtung zerstört. Lediglich das gotische Gewölbe blieb stehen.
Im Sommer 1946 wurde das Gebäude instand gesetzt. Die Reparatur umfasste Fenster, Inneneinrichtung und Arbeiten am Mauerwerk und am Dach. Dabei wurde auch ein neuer Dachreiter mit Glocke angebracht. Ferner wurde die Quelle als Oranna-Brunnen mit einer Figur von Martin Fröhlich aus Bous neu gefasst. Am Ostersonntag 1946 erfolgte die Neuweihe durch den Trierer Erzbischof Dr. Franz Rudolf Bornewasser.
Die Gebeine der Heiligen wurden am 22. September 1969 feierlich aus der Beruser Pfarrkirche in die Kapelle rückübertragen. Sie ruhen heute in einem Wandgrab aus Holz (siehe Bild oben) neben dem Altar. Die Beruser Kirche St. Martin erhielt als Ersatz dafür eine Reliquie.
Hindenburgturm
1934 wurde in der Nähe der Kapelle der 28 m hohe Hindenburgturm errichtet, den man zunächst als »St. Oranna-Turm« bezeichnete.
Der Grund für diese religiöse ›Tarnbezeichnung‹ war, dass die Errichtung von Hindenburgtürmen eine enge politische Verbindung zur nationalsozialistischen Herrschaft darstellte und man Sanktionen seitens der Internationalen Regierungskommission des Saargebietes umgehen wollte.
Nach dem Tod von Reichspräsident Hindenburg im Jahr 1934 wurden im damaligen Reich zahlreiche Hindenburg-Türme errichtet – so auch im damaligen Saargebiet (heute steht z.B. im Bexbacher Blumengarten noch ein Hindenburgturm, welcher heute als heute Museums- und Aussichtsturm dient).
Am 24. Juni 1934 wurde in Berus der Grundstein zum Oranna-Turm gelegt. Der Turm wurde am 13. Januar 1935 in Hindenburgturm umbenannt und am 1. März 1935 der Öffentlichkeit übergeben.
Der Aussichtsturm entwickelte sich zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Region, sodass 1936 ein Gasthaus angebaut wurde. Bereits am 23. September 1939 demontierten jedoch die Nationalsozialisten ihr eigenes Werk.
Der Turm wurde abgerissen, um der französischen Artillerie keinen Orientierungspunkt zu bieten – ebenso wie das Winterbergdenkmal in Saarbrücken und der Gollenstein (ein großer Menhir bei Blieskastel).
Quellen: ueberherrn.de; land-lese.de; outdooractive.com; saar-nostalgie.de; saarmemotransfront.uni-saarland.de; heiligenlexikon.de