»Abkommen zwischen
der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Französischen Republik
über das Statut der Saar«
vom 23. Oktober 1954
Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland und Die Regierung der Französischen Republik, die letztere, nachdem sie die Saarländische Regierung konsultiert und nachdem sie deren Zustimmung erlangt hat,
sind in dem Bestreben, die saarländische Wirtschaft in weitestem Umfang zu entwickeln und jeden Anlass zu Streitigkeiten in den gegenseitigen Beziehungen zu beseitigen, über folgende Grundsätze einig geworden, die die Grundlage einer Lösung der Saarfrage bilden werden.
I. Ziel der ins Auge gefassten Lösung ist es, der Saar im Rahmen der Westeuropäischen Union ein europäisches Statut zu geben. Nachdem dieses Statut im Wege der Volksabstimmung gebilligt worden ist, kann es bis zum Abschluss eines Friedensvertrages nicht mehr in Frage gestellt werden.
Siehe hierzu den Beschluss des Rates der Westeuropäischen Union vom 11. Mai 1955, mit dem die Westeuropäische Union die Aufgaben, die ihr durch dieses Abkommen zugefallen sind, mit sofortiger Wirkung übernommen hat.
II. Ein europäischer Kommissar nimmt die Vertretung der Saarinteressen auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten und der Verteidigung wahr. Der Kommissar überwacht ferner die Beachtung des Statuts. Der Kommissar wird vom Ministerrat der Westeuropäischen Union ernannt. Er ist diesem Rat verantwortlich. Der Kommissar darf weder Franzose noch Deutscher noch Saarländer sein. Bei der Mehrheit, mit der er ernannt wird, müssen sich die Stimmen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland befinden; auch die Zustimmung der Saar ist erforderlich,
Der Kommissar unterbreitet jährlich dem Ministerrat einen Rechenschaftsbericht, der von diesem der Versammlung der Westeuropäischen Union zugeleitet wird.
Soweit der Ministerrat in Bezug auf das Saarstatut Aufgaben zu erfüllen hat, entscheidet er mit einfacher Mehrheit.
siehe hierzu den Beschluss des Rates der Westeuropäischen Union vom 11. Mai 1955 über die Aufgaben und Befugnisse des Kommissars.
III. Die beiden Regierungen werden den anderen beteiligten europäischen Regierungen vorschlagen, die Wahrnehmung der Interessen der Saar bei den europäischen Organisationen folgendermaßen zu regeln:
a) Europarat:
1) Ministerkomitee: Der Kommissar nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil.
2) Beratende Versammlung: Saarländische Vertretung unverändert.
b) Montangemeinschaft:
1) Besonderer Ministerrat:
a - wenn die Außenminister tagen, wird die Saar durch den Kommissar vertreten;
b - wenn andere Minister tagen, wird die Saar mit Stimmrecht durch ihren zuständigen Minister vertreten.
2) Gemeinsame Versammlung: drei Abgeordnete werden vom Saarlandtag gewählt. Die französische Vertretung bleibt zahlenmäßig den Vertretungen Italiens und der Bundesrepublik Deutschland gleich, wie es in Artikel 21 des Vertrages über die Gründung der Montangemeinschaft vorgesehen ist,
c) Westeuropäische Union:
1) Ministerrat: Der Kommissar nimmt an den Sitzungen mit beratender Stimme teil.
2) Parlamentarische Vertretung: Die Versammlung der Westeuropäischen Union umfasst die saarländischen Delegierten zur Beratenden Versammlung des Europarates.
IV. Die beiden Regierungen werden vorschlagen, dass die Teilnahme der Saar an der europäischen Verteidigung durch einen im Rahmen der Westeuropäischen Union geschlossenen Vertrag festgelegt wird, und dass in Fragen, die die Saar betreffen, SACEUR stets in enger Zusammenarbeit mit dem Kommissar handelt.
V. Auf allen Gebieten, auf denen das Statut nicht ausdrücklich die Zuständigkeit des Kommissars vorsieht, sind die Regierung und die Organe der Saar ausschließlich zuständig.
VI. Die politischen Parteien, die Vereine, die Zeitungen und die öffentlichen Versammlungen werden einer Genehmigung nicht unterworfen.
Sobald das Statut durch Volksabstimmung gebilligt ist, kann es bis zum Abschluss eines Friedensvertrages nicht in Frage gestellt werden.
Jede von außen kommende Einmischung, die zum Ziele hat, auf die öffentliche Meinung an der Saar einzuwirken, insbesondere in Form der Beihilfe oder der Unterstützung für politische Parteien, für Vereinigungen oder die Presse, wird untersagt.
VII. Nimmt die Saarbevölkerung das gegenwärtige Statut durch Volksabstimmung an, so hat dies nachstehende Verpflichtungen für die Saar zur Folge:
a) Die Saarregierung muss die Bestimmungen des Statuts einhalten;
b) es muss alles Erforderliche geschehen, damit die verfassungsmäßigen Organe der Saar an der saarländischen Verfassung die durch die Annahme des europäischen Statuts notwendig gewordenen Änderungen vornehmen;
c) die Saarregierung hat innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Volksabstimmung die Wahl eines neuen Landtags herbeizuführen.
VIII. Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs verpflichten sich, das Statut der Saar bis zum Abschluss eines Friedensvertrages aufrechtzuerhalten und zu garantieren.
Die beiden Regierungen werden die Regierungen des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten von Amerika bitten, eine gleichartige Verpflichtung einzugehen.
IX. Bestimmungen über die Saar in einem Friedensvertrag unterliegen im Wege einer Volksabstimmung der Billigung durch die Saarbevölkerung; diese muss sich hierbei ohne irgendwelche Beschränkungen aussprechen können.
X. Die in Artikel I vorgesehene Volksabstimmung findet drei Monate nach Inkrafttreten der Bestimmungen, die im ersten Absatz von Artikel VI vorgesehen sind, statt.
Die Volksabstimmung fand am 23. Oktober 1955 gemäß und auf Grund des Beschlusses des Rates der Westeuropäischen Union vom 11. Mai 1955 über die Durchführung der in Artikel I. des Abkommens über das Statut des Saarlandes vorgesehenen Volksabstimmung statt.
XI. Die beiden Regierungen werden gemeinsam alle Anstrengungen machen, die notwendig sind, um der saarländischen Wirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten im weitesten Umfange zu geben.
XII. A - Die Grundsätze, auf denen die französisch-saarländische Wirtschafts-Union gegenwärtig beruht, werden in ein Abkommen über wirtschaftliche Zusammenarbeit aufgenommen, das zwischen Frankreich und der Saar abgeschlossen wird und den folgenden Bestimmungen Rechnung trägt.
XII B - Bezüglich der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, und der Saar ist das Ziel zu erreichen, gleichartige Beziehungen zu schaffen, wie sie zwischen Frankreich und der Saar bestehen. Dieses Ziel ist fortschreitend in der Blickrichtung auf die sich ständig ausweitende deutsch-französische und europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit zu verwirklichen. Auf dem Währungsgebiet bleibt die derzeitige Regelung bis zur Schaffung einer Währung europäischen Charakters in Kraft.
Die fortschreitende Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar darf die französisch-saarländische Währungsunion und die Durchführung des französisch-saarländischen Abkommens über die wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht in Gefahr bringen.
Dabei ist so vorzugehen, dass die Errichtung einer Zollgrenze zwischen Frankreich und der Saar nicht erforderlich wird. Der etwaigen Notwendigkeit, bestimmte Zweige der Saarindustrie zu schützen, ist Rechnung zu tragen.
XII C - In nächster Zeit werden Maßnahmen zur Erweiterung des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar getroffen, um dem Bedarf beider Länder an den Erzeugnissen des anderen Landes Rechnung zu tragen.
XII D - Zwischen Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Saar werden Abkommen geschlossen, um die in den Absätzen B und C niedergelegten Grundsätze zu verwirklichen.
In diesen Abkommen ist der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass die Bilanz des laufenden Zahlungsverkehrs zwischen dem Gebiet des französischen Franken und der Bundesrepublik Deutschland nicht schwer beeinträchtigt wird; hierbei sind jedoch die Gegebenheiten des Wirtschaftsverkehrs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Saar zu berücksichtigen.
XII E - Die Saar wird für die Verwaltung sämtlicher Kohlenvorkommen der Saar einschließlich des Warndt sowie der von den Saarbergwerken verwalteten Grubenanlagen Sorge tragen.
XIII. Die beiden Regierungen werden den übrigen Mitgliedregierungen der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl empfehlen, den Sitz dieser Gemeinschaft nach Saarbrücken zu legen.
XIV. Das vorliegende Abkommen wird dem Ministerrat der Westeuropäischen Union übermittelt, damit dieser es zur Kenntnis nehmen kann.
Die beiden Regierungen werden die anderen Mitgliedsregierungen der Westeuropäischen Union bitten, diejenigen Bestimmungen des vorliegenden Abkommens zu billigen, die ihrer Zustimmung bedürfen.
Siehe hierzu den Beschluss des Rates der Westeuropäischen Union vom 11. Mai 1955, mit dem die Westeuropäische Union die Aufgaben, die ihr durch dieses Abkommen zugefallen sind, mit sofortiger Wirkung übernommen hat und das Abkommen, soweit es der Zustimmung der Westeuropäischen Union bedurfte, gebilligt wurde.
gez. Adenauer
gez. Mendès-France
Quellen: Bundesgesetzblatt 1955 Teil II. S. 296